Wer mit dem Familiensystem arbeitet, so wie wir es in der Aufstellungsarbeit tun, kommt immer mal wieder in den Kontakt mit der Idee, jemand könnte gleich das ganze Familiensystem retten. Wir stellen uns dann vor, wir würden etwas Unrechtes, das einem unserer Vorfahren widerfahren ist, heute durch eine Aufstellung wieder gut machen. Das ist natürlich nicht möglich. Aber der Wunsch ist nachvollziehbar. Was jedoch in Aufstellungen geschieht ist, dass wir selbst erkennen, wo wir in eine Familiendynamik involviert sind, aus der wir uns dann befreien können. Wir haben auf einmal mehr Wahlmöglichkeiten als vorher.

Leiden unter Mustern im Familiensystem
Es ist so ein diffuses, unklares Leiden an den eigenen familiären Umständen. Als Paartherapeutin erlebe ich oft das Phänomen, dass der Partner oder die Partnerin stellvertretend für andere Familienmitglieder steht. Die Gefühle gehören dann eigentlich zu jemand anderem. Das alles wird durch einen Blick auf das Familiensystem sichtbar. Plötzlich erkennen wir das Muster, die Wiederholung, die in der eigenen Familie schon seit Jahren weiter gegeben wird. Und mit dem Erkennen haben wir die Möglichkeit, die Dynamik für uns zu verändern. Das geht nicht schnell, aber es geht. Es braucht Zeit und manchmal gibt es auch Rückfälle. Ist die Dynamik jedoch einmal bewusst, können wir sie nie mehr so blind wiederholen, wie davor. Wir werden freier. Und wie immer bei der Freiheit, ist sie verbunden mit einem Gefühl der Unsicherheit und der Angst vor Einsamkeit, Unverbindlichkeit und Beliebigkeit. Wir verlieren die Unschuld mit der wir uns als Kind selbstverständlich zum System gehörend erleben. Plötzlich sind wir erwachsen und  verantwortlich für unser Handeln. Manchmal wünschen wir uns dann ein Zurück. Aber das geht wie gesagt nicht.

Der Partner vertritt jemand anderen aus dem Familiensystem
Unser Partner steht sehr oft auch stellvertretend für jemanden aus unserem eigenen System. Erstaunlicherweise suchen wir mit traumwandlerischer Sicherheit den für unser Familiensystem richtigen Partner aus. Leiden wir ständig unter unserer Partnerwahl, sollten wir einmal ganz genau hinschauen, unter wem haben wir früher gelitten? Oder auch, wer in unserem Familiensystem hat gelitten? Oft zeigt sich hier eine Wiederholung, wenn diese Wiederholung erkannt ist, können wir unseren Partner von dieser Überlagerung losgelöst wahrnehmen und dann noch einmal entscheiden, ob wir weiter gemeinsam durch das Leben gehen wollen, oder ob damit die gemeinsame Zeit beendet ist. Auch hier haben wir durch das Erkennen der Dynamik mehr Freiheit und mehr Verantwortung für unsere Entscheidung bekommen. Das ist anfangs nicht unbedingt schön, aber auf lange Sicht lohnt es sich.

Die Dynamik wird sichtbar
Was können wir tun, um diese Dynamik sichtbar zu machen? Zunächst mal ist es gut, ein bisschen über die eigene Familiengeschichte zu wissen. Wir können die noch lebenden älteren Familienmitglieder nach ihren Geschichten befragen. Schon durch diesen Kontakt bekommen eingeschlafene Beziehungen zu unseren Familienmitgliedern häufig eine neue Lebendigkeit. Allein das ist schon ein Gewinn für beide Seiten. Die alten Generationen haben ganz andere Dinge erlebt und wenn wir wieder anfangen, ihnen ernsthaft zuzuhören, werden wir reich beschenkt. Denn diese Erlebnisse sind nicht einfach vorbei, wir bleiben mit ihnen verbunden.
Keine Angst, wir müssen sie nicht zwanghaft wiederholen, aber wenn wir von ihnen wissen, können wir achtsam sein, ob wir in einer ganz ähnlichen Geschichte stecken. Hilfreich für diesen Prozess ist auch das Buch von Bertold Ulsamer „Inneren Frieden finden mit den Eltern“, dort beschreibt er ausführliche diese 7 Schritte zur Versöhnung

1. Ich stehe zu meinen Verletzungen
2. Ich entdecke mehr von meiner Ähnlichkeit mit Vater und Mutter
3. Ich schaue mit dem Blick des Erwachsenen auf Mutter und Vater
4. Ich erkenne, dass mangelnde Liebe nichts mit mir persönlich zu tun hat
5. Ich achte meine Mutter und meinen Vater
6. Ich bin dankbar für das, was ich von Vater und Mutter erhalten habe
7. Ich danke Mutter und Vater für das Leben

Ein Beispiel
Karin H. kommt zu mir in die Beratung, weil sie sich von ihrem Partner nicht unterstützt fühlt. Sie ist alleine für die Kinder und den Haushalt zuständig und daneben hat sie noch einen Halbtagsjob im Büro einer kleinen Firma. Sie möchte, dass ihr Mann sich ändert! So geht es für sie nicht weiter! Verzweifelt fragt sie, „Wo sind denn all die „neuen“ Väter, die sich gemeinsam um die Kindererziehung bemühen?“

Sie fühlt sich in genau der gleichen Falle, in der schon ihre Mutter gefangen war. Der einzige Unterschied ist, dass sie zusätzlich noch arbeiten geht. Die Kinder sehen ihren Vater so gut wie nie, weil er früh zur Arbeit fährt und spät nach Hause kommt. Das Geld ist trotzdem immer knapp. Karin würde sich am liebsten trennen, wenn sie nicht Angst hätte, dass ihr Mann die Kinder dann nie wieder sehen will. Damit hatte er tatsächlich schon einmal gedroht. Wenn sie gehen würde, dann solle sie mit den Kindern für immer verschwinden.

Ihr Mann will auch nicht mit zur Beratung kommen, das sei alles „Psychokram“, da mache er nicht mit! Also arbeiten wir mit ihrem Familiensystem und gucken mal, wo sie gerade steht. Wir finden Erstaunliches heraus, denn Karin sieht plötzlich, dass sie sich einen Partner gesucht hat, der genauso wenig da ist, wie ihr eigener Vater. Sie erkennt ihren Anteil an dem Dilemma, denn sie hat unbewusst immer gedacht, dass es für Kinder im allgemeinen sogar besser ist, wenn der Vater gar nicht an der Erziehung beteiligt ist. Dieser Glaubenssatz ist fest verankert in ihr. Jetzt war es möglich an ihrem Anteil, den sie zu dem Problem beigetragen hat zu arbeiten, denn Glaubenssätze lassen sich auflösen.

Nachdem sich diese Verbindung gezeigt hat, konnten wir gemeinsam neue mögliche Verhaltensweisen finden. So konnte sie sich plötzlich auch an andere Sätze ihres Mannes erinnern, nämlich dass er sich oft gewünscht hat, mal mit den Kindern allein zu sein, weil er immer das Gefühl hat unter Beobachtung zu stehen, wenn seine Frau dabei ist.

Mit diesen ganz neuen Gedanken konnte sie ihren Mann sogar davon überzeugen, dass sie immer sonntags zum Schwimmen und danach mit einer Freundin Essen gehen wolle. Ihr Mann war zwar erst etwas mürrisch, weil er ja selbst so wenig Zeit für sich habe, aber nachdem er dann die Zusage bekam immer samstags ausschlafen zu dürfen, willigte er ein.

Das wirkt vielleicht nur wie eine kleine Veränderung aber die Fronten hatten sich aufgeweicht. Es sind übrigens immer die kleinen Veränderungen, die eine Paartherapie erfolgreich machen.

Wie weit zurück müssen wir das Familiensystem kennen?
Manchmal zeigen sich die Dynamiken nicht in der Generation der Eltern, sondern noch eine oder sogar mehr Generationen zurück. Ich bin kein Fan davon, Ahnenforschung bis zum Mittelalter zu betreiben, aber es gibt in manchen Familie so dramatische Geschichten, dass sie wirklich schon seit vielen Jahren immer wieder kehren. Hier lohnt sich ein Blick etwas weiter zurück, aber nur wenn die Geschichte heute präsent ist und wir von der Geschichte wissen, weil sie schon über Generationen weiter gegeben wurde. Wie gesagt, wir müssen nicht forschen um endlich alles zu lösen und jede Familiendynamik zu verstehen. Aber die Geschichten, die uns vielleicht schon seit der Kindheit vertraut sind oder uns Angst gemacht haben, die sind wichtig für uns und sie bergen einen Schatz, den es sich zu heben lohnt.

Gerne könnt ihr hier einen Termin für eine Beratung machen, wenn ihr das Gefühl habt, ihr steckt in so einer Dynamik fest, denn meistens zeigt sie sich in unserer Paarbeziehung am deutlichsten.